K. Engeler: Geschichtsunterricht und Reformpädagogik

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Titel
Geschichtsunterricht und Reformpädagogik. Eine Untersuchung zur Praxis des Geschichtsunterrichts an höheren Schulen der Weimarer Republik


Autor(en)
Engeler, Knut
Reihe
Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart 7
Erschienen
Münster 2009: LIT Verlag
Anzahl Seiten
407 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Markus Furrer, Pädagogische Hochschule Zentralschweiz

Knut Engeler untersucht in seiner Studie reformpädagogisch geprägte Einflüsse auf den Geschichtsunterricht an höheren Schulen zur Zeit der Weimarer Republik. Er widerlegt damit ein verbreitetes wissenschaftliches Bild vom Geschichtsunterricht, das davon ausgeht, dass es keine reformpädagogischen Elemente an höheren Schulen gegeben habe. Engelers Studie, die er als Dissertation an der Universität Oldenburg eingereicht hat, gliedert sich in fünf Teile: In der Einleitung skizziert der Autor den Untersuchungsgegenstand und macht Hinweise zum Aufbau seiner Untersuchung. Wie er ausführt, will er mit seiner historisch ausgerichteten Untersuchung einen Beitrag zur Selbstreflexion der geschichtsdidaktischen Disziplin und damit des Geschichtsunterrichts leisten. Breit widmet er sich im zweiten Teil dem Forschungsstand, der hier zu Recht ein grosses Gewicht erhält, geht es doch darum, wenn auch fragmentarisch, das Handeln und Geschehen im Geschichtsunterricht zu erschliessen. Engelers Studie geht anschaulich der Frage nach, wie vergangene Unterrichtswirklichkeit und ihre Veränderungen erforscht werden können. So ist in der Tat das belegbare Wissen über die Praxis des Geschichtsunterrichts an höheren Schulen gering. Anhand der Untersuchung zeigt sich jedoch auch, dass eine Kombination möglichst verschiedener Quellen hier dennoch zu befriedigenden Resultaten führen kann. Engeler beschäftigt sich in diesem Kapitel auch eingehend mit geeigneten Quellen, die aus dem unmittelbaren unterrichtlichen Zusammenhang heraus entstanden sind, und die uns heute Aufschluss über den damaligen Geschichtsunterricht geben. Von besonderem Interesse sind Quellenmaterialien, die im Rahmen der Ausbildung und Beförderung von Lehrern entstanden sind, berichten diese doch unmittelbar über die Praxis, während in Zeitschriften primär die Diskussion darüber abgebildet wird.

Im Zentrum der Analyse steht die Reformpädagogik der 1920er Jahre in Deutschland und damit die Frage, ob und wie sie an höheren Schulen (hier untersucht an quellenmässig auch gut erschlossenen Beispielen) wirksam geworden ist. Engeler versteht Reformpädagogik «als zusammenfassende Bezeichnung unterschiedlichster pädagogisch-ideologischer und pädagogisch-praktischer Gedankengänge, Forderungen, Praktiken, Erfahrungen, deren Akteure sich auf eine neue Sicht des Kindes beriefen und von dieser Warte aus die bestehenden Erziehungsformen und die von ihnen wahrgenommene Schulwirklichkeit kritisierten und neu gestalten wollten» (113). Im Kapitel drei zeichnet Engeler die Entstehung, Entwicklung und Vielfalt der pädagogischen Bewegung nach.

Für den vierten Teil, die Untersuchung (Reformpädagogische Praxis im Geschichtsunterricht), leitet er daraus relevante Elemente oder Merkmale reformpädagogischen Handelns ab, die er in den Quellen aufspürt. In einem ersten Abschnitt beschäftigt er sich mit den methodischen Zugängen und dem Untersuchungsansatz. Aufschlussreich für historische Studien ist die Variation historischer Quellen, wenn auch hier sichtbar wird, wie schwierig die Rekonstruktion unterrichtlichen Geschehens ist. Das Untersuchungsgebiet von Engeler richtet sich an diesen Gegebenheiten aus, indem er breit Quellen einbezieht. Er stützt sich dabei auf amtliche (wie Überlieferungen der Schulverwaltung, Personalakten, Lehrprobenprotokolle, Klassenberichte bis hin zu Jahresbereichten, Verwaltungsberichten usw.) und nichtamtliche Quellen (wie Lehrmittel, wissenschaftliche und didaktische Publikationen oder auch Biographien, Berichte, usw.) von unterschiedlichem Aussagegehalt, um so mit erweiterten Facetten Rückschlüsse auf den Geschichtsunterricht zu erhalten. Nur so lässt sich vergangener Unterricht rekonstruieren, bzw. dessen reformpädagogischer Gehalt eruieren. Unter reformpädagogisch beeinflusstem Geschichtsunterricht wurde, so zeigte es die Diskussion, primär Arbeitsunterricht verstanden, wie der Autor bilanziert. Die Förderung der Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit der Schüler war ein wesentliches Anliegen reformpädagogischer Vorstellungen. Nicht allein das Unterrichtsgespräch erhielt einen höheren Stellenwert, sondern auch die Form wandelte sich, indem an Stelle eines katechetischen Gesprächs (Abfragens) das Fragerecht fortan beim Schüler liegen sollte. Belebt wurde die Diskussion namentlich durch die Forderung der preussischen Richtlinien, vermehrt Quellen im Unterricht einzusetzen. Dabei muss man sich bewusst sein, dass herkömmlich geprägter Geschichtsunterricht bis anhin primär vom Lehrervortrag dominiert war und anschliessend in ein Abfragegespräch mündete. Am Lehrervortrag entzündete sich auch eine Auseinandersetzung um Sinn und Zweck des Geschichtsunterrichts. Ein reformpädagogisch geprägter Geschichtsunterricht zeichnet sich hingegen durch einen höheren Anteil an Unterrichtsgesprächen aus. Auch an der Quellenfrage erhitzten sich die Gemüter, war doch eine in Methode und Ziel für schulische Zwecke angemessen reduzierte Form der Quellennutzung für verschiedene Kritiker unannehmbar. Die Verfechter von mehr Selbstständigkeit hingegen befürworteten auch eine Verwendung von Quellen zu mehr als rein illustrativen Zwecken.

Im fünften Teil folgt die Bilanz: Die Grundannahme der Studie, dass sich die pädagogische Diskussion auf den Unterricht auswirke, liess sich bestätigen und dieser war weit fortgeschrittener als man allein auf Grund amtlicher Quellen vermuten konnte. Auch deutlich wird, wie zentral Lokal- und Regionalstudien für die Rekonstruktion unterrichtlichen Geschehens sind. Knut Engelers Studie regt für weitere Untersuchungen an und liesse sich auch auf weitere Länder und Reformphasen ausdehnen. Insbesondere der Geschichtsunterricht im schweizerischen Kontext ist wenig erforscht. Da der Zugang praktisch nur mittels regionaler und lokaler Untersuchungen zu haben ist, wirkt hier das schweizerische föderalistische System mit den unterschiedlichen kantonalen Schulhoheiten kaum als Hemmnis.

Zitierweise:
Markus Furrer: Rezension zu: Knut Engeler, Geschichtsunterricht und Reformpädagogik. Eine Untersuchung zur Praxis des Geschichtsunterrichts an höheren Schulen der Weimarer Republik (=Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 7), Münster, LIT Verlag, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 351-352.

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